Der Schwarze Holunder, Sambucus nigra, ist vielseitig nutzbar. Aus seinen Blüten kann man Sirup, Sekt und Tee bereiten. Und die Blütenstände können in Backteig getunkt frittiert werden. Staubzucker darüber und fertig ist die süße Köstlichkeit.
Anjoulie Brandner und Christoph Schunko versuchen, den essbaren Wildpflanzen aus wissenschaftlicher Sicht auf den Grund zu gehen. Es geht um die Frage, wie essbare Wildpflanzen in Wien ökologisch und sozio-politisch nachhaltig gesammelt werden können. Welches Potential hat das Sammeln? Aber auch welche Schwierigkeiten sind damit verbunden? Dabei geht es uns um das Sammeln im urbanen und periurbanen öffentlichen Raum Wiens. Ein spannendes Thema, zu dem ich Anjoulie und Christoph interviewen darf.
Sonja: Wie ist euer Forscher-Team auf das Thema essbare Wildpflanzen in der Stadt gekommen?
Christoph: Ich forschte schon seit Jahren über Erfahrungswissen durch Wildsammlung in Verbindung mit Ökologischer Landwirtschaft und Nachhaltigkeit. Zuvor hatte ich dabei Sammeln ausschließlich im ländlichen Raum thematisiert. Mit den vermehrten Diskussionen zur Lebensmittelproduktion in der Stadt, Urban Gardening, etc., interessierte mich auch das Potential für das Sammeln essbarer Wildpflanzen in der Stadt und die damit verbundenen Hindernisse.
Früher waren die wilden Flurgehölze in der Kulturlandschaft ein typisches Element unserer kleinstrukturierten Landwirtschaft. Hier wuchsen Wildobsträucher wie Holunder, Kornelkirsche, Sanddorn, Rosen mit Hagebutten und andere essbare Wildpflanzen wie Grünspargel, Hopfen, Brennnessel und vieles mehr. Dieser wilde Nutzgarten ist nun leider aufgrund der industrialisierten Landwirtschaft verloren gegangen. Und damit ist auch ein wertvoller Lebensraum für Wildtiere und Erosionsschutz verschwunden.
Sonja: Welche Menschen sammeln essbare Wildpflanzen? Kann man sie in Kategorien einteilen?
Anjoulie: Genau diese Frage stellen wir den etwa 20 Interviewteilnehmerinnen und -teilnehmern im Forschungsprojekt „Urban Wild Foods“. Die Ergebnisse werden im Jahr 2021 veröffentlicht. Zurzeit sind wir noch dabei Daten zu sammeln und zu analysieren. Aber erste Ergebnisse zeigen, dass die sozio-demographischen Hintergründe der Sammlerinnen und Sammler relativ breit sind. Trotzdem scheint es einen wahrgenommenen Überhang bei Frauen, älteren Menschen sowie jungen Familien mit Kindern zu geben. Ob diese ersten Ergebnisse verifiziert werden können, bleibt abzuwarten.
Immer wieder verwechselt: Bärlauch, Allium ursinum (Foto links) mit dem hochgiftigen Maiglöckchen, Convalaria majalis (Foto rechts). Da beide ähnliche Standorte besiedeln und in der Sammelzeit noch nicht blühen. Daher immer Vorsicht bei Wildsammlung walten lassen. Und nur sammeln, was man tatsächlich 100 % sicher (er)kennt!
Sonja: Gibt es Risiken, die beim Sammeln von Wildpflanzen zu bedenken sind? Wenn ja, welche?
Anjoulie: Risiken kommen aus zwei Richtungen. Aus Sicht der Menschen bestehen gesundheitliche Risiken beim Sammeln. Etwa durch unzureichende Pflanzenkenntnis und daraus folgenden Verwechslungen. Aber auch durch unzureichende Standortkenntnisse und die Risiken, die durch Kontaminationen aus Luft oder Boden auf die Qualität der Wildpflanzen wirken.
Die Brennnessel, Urtica dioica, wird unter anderem als Tee zur Entschlackung des Körpers getrunken. Aber Brennnesseln nehmen auch Giftstoffe von Böden auf und lagern sie ein. Daher nur an Standorten sammeln, die nicht belastet sind.
Christoph: Aus Sicht des Naturschutzes sind die Risiken bei gewissen Arten groß, etwa durch die Übersammlung bestimmter Pflanzen auf gewissen Flächen. Vor allem wenn seltene Pflanzen gesammelt werden, kann durch das Sammeln ihr Fortbestehen gefährdet werden. Auch unterschiedliche Sammeltechniken bergen Risiken für die Pflanzen und die Umwelt. Beispielsweise wenn Pflanzen beim Sammeln geschädigt werden und unachtsam gesammelt wird. Dem gegenüber stehen Pflanzenteile von häufigeren Pflanzen, wie etwa Bärlauchblätter oder Holunderblüten und -beeren, deren Bestand durch Sammeln in Haushaltsmengen kein Schaden zugefügt wird.
Holunder, Sambucus nigra, ist eine Zeigerpflanze für Stickstoff und überall häufig anzutreffen. Meine Oma bereitete aus den reifen Früchten das köstliche „Holler-Koch“ und bestreute es mit Zimt. Den einzigartigen süß-herbe Wildfruchtgeschmack liebte ich bereits als Kind. Und auch heute noch ist es für mich ein Hochgenuss. Man sollte aber keinesfalls alle Früchte ernten. Denn Wildvögel wie etwa der Hausrotschwanz, Phoenicurus ochruros, lieben diese Früchte ebenfalls.
Sonja: Darf man überall sammeln?
Christoph: Nein, das darf man nicht. Hier kommen das Wiener Naturschutzgesetz und die Naturschutzverordnung sowie weitere spezifische Gesetzgebungen wie etwa für den Nationalpark Donau-Auen, den Biosphärenpark Wienerwald, das Naturschutzgebiet Lainzer Tiergarten, Natura2000-Gebiete etc. zu tragen. Außerdem das Eigentumsrecht und das Forstgesetz für die Wälder und die Grünanlagenverordnung für alle Parkflächen in Wien. Man sieht, das Thema ist rechtlich sehr komplex und eine Vereinfachung höchst wünschenswert. Prinzipiell kann man aber sagen, dass das Sammeln nicht geschützter Pflanzen für den Eigengebrauch in Maßen und ohne den Pflanzen zu schaden auf Wiens öffentlichen Flächen, die nicht unter Naturschutz stehen, erlaubt ist.
Grünspargel, Asparagus officinalis, wächst auch an so manchen Wildstandorten. Aber nicht überall, darf man ihn sammeln! Ich kultiviere ihn als nützliche Wildpflanze in meinem Steppen-Obstgarten im Hortus Pannonicus. Hier kann ich ihn unbedenklich ernten und genießen.
Sonja: Wieviel darf man sammeln, um nicht einen Bestand zu gefährden?
Anjoulie: Das hängt immer von der jeweiligen Pflanze ab. Ob es eine seltene oder eine häufige Pflanze ist. Welcher Pflanzenteil gesammelt wird. Und wie verbreitet eine Pflanze an einem Standort ist. Holunder, Bärlauch, Kriecherl oder Maulbeeren können in den häufigsten Fällen bedenkenlos gesammelt werden. Heikler wird es beim Sammeln von selteneren Pflanzen oder allgemein dem Sammeln von Blüten oder Wurzeln. Hier sollte umfangreiches Wissen vorhanden sein.
Blüte und Blatt des Duft- oder März-Veilchens, Viola odorata, sind essbar. Aber die frühen Blüten sind ein wertvoller Nektarlieferant für früh fliegende Hummeln und andere Insekten. Die Blätter werden etwa von Perlmutterfalterraupen verspeist. Daher nicht zu gierig beim Sammeln sein und den Wildtieren auch ihren Anteil lassen. Dann kann man sich an der Imago des Großen Perlmuttfalters, Issoria lathonia, auch erfreuen.
Sonja: Was war für dich Anjoulie bis jetzt das erstaunlichste an diesem Forschungsprojekt? Etwas, das Du nicht erwartet hattest.
Anjoulie: Danke für die Frage. Aber da muss ich jetzt länger überlegen. Urban Wild Foods – Sammeln essbarer Wildpflanzen in urbanen Räumen ist ein sehr spannendes und vielseitiges Projekt. Und für mich als Interviewerin sind manchmal beiläufige Aussagen von Sammlerinnen und Sammlern sehr spannend und besonders in Zusammenhang mit anderen Aussagen aufschlussreich. Unerwartet war für mich, wie sehr sich Beobachtungen und Einstellungen nicht nur zwischen Sammlerinnen und Sammlern, Behörden, Landschaftplanerinnen und Landschaftsplanern unterscheiden. Sondern auch die Unterschiede innerhalb dieser Gruppen. Das Thema urbane Wildsammlung ist sehr vielfältig und es gibt sehr wenig gesichertes Wissen. Gerade deswegen ist unser Forschungsprojekt so wichtig.
Die reifen Früchte der Kornelkirsche, Cornus mas, auch als Dirndl bekannt, sind sehr sauer. Daher werden sie kaum roh verzehrt. Für die Herstellung von Marmeladen, Gelees und anderem eignen sie sich aber hervorragend.
Sonja: Sammelst du selber Wildpflanzen? Wenn ja, welche sind deine Favoriten?
Anjoulie: Ich sammle sehr gerne in und außerhalb Wiens. In Wien besammle ich am liebsten den Kriecherlbaum im nahe gelegenen Park: Ich liebe die sonnengelbe Marmelade für die ich die Flotte Lotte in Einsatz bringe. Außerdem die Maulbeeren in der Nähe meines Arbeitsplatzes und die Dirndln am Kahlenberg und noch einiges mehr. Dieses Jahr bin ich begeistert von meinen Dirndl-Oliven, dafür habe ich sie unreif gesammelt und für etwa 2-3 Monate in Salzwasser eingelegt. Michael Machatschek, Margot Fischer und Co. haben tolle Bücher über die vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten von Wildpflanzen geschrieben.
Sonja: Dirndl-Oliven und Kriecherl-Marmelade hören sich verlockend an. Das macht Lust, sich auch der Sammelleidenschaft hinzugeben. Vielen Dank für das Interview!
Assistenz-Professor am Institut für Ökologischen Landbau an der Universität für Bodenkultur
interessiert an Wildpflanzen, ihrer nachhaltigen Sammlung und Nutzung durch Menschen unterschiedlicher Kulturen
wissenschaftliche Projektmitarbeiterin und Dissertantin am Institut für Ökologischen Landbau an der Universität für Bodenkultur
begeisterte Urbane Sammlerin und arbeitet außerdem bei Gartenpolylog, dem Verein zur Förderung von Gemeinschaftsgärten in Österreich
Tipps zum Thema:
Bei meinem Workshop „Wo die wilden Nützlinge wohnen“, der am 4. April 2020 am BioHof Adamah in Glinzendorf stattfindet, gebe ich mein Wissen zur Planung, Umsetzung und Pflege von nützlingsfreundlichen und attraktiven Beeten für Bienen, Schmetterlinge und Co. weiter. Ein Pflanzthema unter anderen sind Kräuter und essbare Blüten.
In meinem Buch „Wo die wilden Nützlinge wohnen“ sind im Kapitel „Kräuterrasen à la nature“ ebenfalls einige Wildgemüse angeführt. Und in den Folgekapiteln sind einige essbare Wildpflanzen, Kräuter- und Heilpflanzen zu finden.
Auch in den Blogbeiträgen WILD SEIN „Interview mit der Wild Sein-Gärtnerin Martha Plößnig“, „Marthas wilde Kräuter und Blumen“ und „Exoten für Kräuter- und Blumengärten“ stelle ich einige essbare Wildpflanzen, Kräuter und Gewürze vor.
Eine Mini-Auswahl an Autoren und Bücher zum Thema essbare Wildpflanzen:
Margot Fischer hat im Mandelbaumverlag dazu einige Bücher veröffentlicht.
Elisabeth Mauthner und Michael Machatschek schreiben im Böhlau Verlag Bücher zum Thema wilde Nutzpflanzen. Beispiel: Speisekammer aus der Natur.
Stephen Barstow ist ein Engländer, der seit vielen Jahren in Norwegen lebt und sich dem Thema essbare Pflanzen voller Hingebung widmet: Von essbaren Zierpflanzen wie Hosta- bzw. Funkiensprossen und Taglilienblüten über Samen vom einjährigen Schwarzkümmel, Nigella sativa, bis zu essbaren Gehölzen wie etwa die jungen Blätter der Linden, Tilia sp.
Ich durfte bereits 2017 bei einer Arche Noah Exkursion im Botanischen Garten Wien dabei sein und nun bei den Langenloiser Staudentagen am 22. Jänner 2020 einen Vortrag von ihm erleben. Auf seiner Website Edimentals und in seinem Buch „Around the World in 80 Plants“ stellt er seine kulinarische Pflanzenwelt vor und macht Lust aufs Probieren.
Wer unter dem Schlagwort „essbare Wildpflanzen“ sucht, findet eine Unzahl an Websites, Apps und auch jede Menge Bücher. Nicht alles ist zu empfehlen, daher bitte immer kritisch hinterfragen.