Eine wunderbare Gartenentdeckung
Es ist Sommer 2018. Ich bin gerade damit beschäftigt das Marillen-Spalierobst im Innenhof zu pflegen. Da plötzlich entdecke ich etwas. Eine riesige leuchtend hellgrüne Raupe mit hellblauen Warzen und langen Haaren auf den Warzen. Sie labt sich genüsslich an den Marillenblättern. Der Blick in mein Schmetterlings-Bestimmungsbuch bestätigt meinen Verdacht: Saturnia pyri. Zu Deutsch das Große Nachtpfauenauge oder auch Wiener Nachtpfauenauge. Hurra!!! Ich war so voller Freude und Aufregung. Es war schöner als Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen. Es war ein wunderbarer Gartenmoment für mich. Einfach ein tolles Gefühl. Denn es war für mich der Beweis, dass meine Art zu Gärtnern das bewirkt, was ich mir wünsche: Ein Ökosystem Garten schaffen, wo eine reiche Vielfalt an Wildtieren und Wildpflanzen lebt.
Gartenentdeckung die Zweite
Dieser eindrucksvolle Nachtfalter ist der größte europäische Schmetterling! Und der nachtaktive Falter wird aufgrund seiner imposanten Größe sogar mit Fledermäusen verwechselt. Denn bei einer Flügelspannweite von bis zu 16 cm ist er im Flug kaum zu übersehen. Aber auch in Ruhestellung ist der eigentlich unauffällige Falter mit seinen großen „Pfauenaugen“ nicht immer gut getarnt. Denn nach meinem tollen Raupenerlebnis letztes Jahr, hatte ich das große Glück heuer eine Imago an der Stadelwand zu entdecken. Im ersten Moment dachte ich, dass meine Rose welke Blätter hat. Und dann die Überraschung: Es ist das Wiener Nachtpfauenauge im Falterstadium. Ich war wieder so voller Freude. Dieses Glück. Dieser faszinierende Falter bei mir im Garten. Einfach toll! Einfach riesig! Denn das ist er wirklich. Und diese Entdeckung habe ich bereits in meinem letzten Blogbeitrag erwähnt. Weil ich diesen Schmetterling erstmals in meinem Leben real beobachten durfte. Für mich, ganz besondere Momente in meinem Leben.
Die Familie der Pfauenspinner
Das Große Nachtpfauenauge hat auch den Namen Wiener Nachtpfauenauge, da es erstmals 1775 bzw. 1776 in der Publikation „Systematisches Verzeichniß der Schmetterlinge der Wienergegend herausgegeben von einigen Lehrern am k.k. Theresianum“ von Michael Denis und Johann Ignaz Schiffermüller beschrieben wird. Saturnia pyri, wie der Falter wissenschaftlich genannt wird, gehört zur Familie der Pfauenspinner, Saturniidae. Diese umfasst weltweit viele Arten. Je nach Quelle deutlich über 1.000 oder sogar über 2.000 Arten. Aber in Europa sind nur rund 10 Spezies dieser schönen Nachtfalterfamilie vertreten.
Über das Leben des größten europäischen Schmetterlings
So eindrucksvoll die Imago ist, ihr Leben ist nur von kurzer Dauer. Denn der Schmetterling kann keine Nahrung zu sich nehmen. Es fehlen Organe zur Nahrungsaufnahme. Daher beträgt die Lebensspanne des Falters selbst nur einige Wochen. Diese Lebensphase dient dem Zweck der Paarung und Eiablage. Die Flugzeit der Imago ist von Mitte April bis Ende Juni, manchmal auch noch im Spätsommer. Ich habe das Exemplar bereits Anfang Mai beobachtet. Die Falter finden über die Pheromone, also Sexuallockstoffe, zueinander. Dazu haben die Männchen Fühler mit besonders stark ausgeprägten Kämmen. Über diese werden die Duftstoffe aufgenommen. Kurz nach der Paarung kommt es zur Eiablage. Dazu legt das Weibchen die Eier in kleinen Gruppen an den Ästen und Blättern geeigneter Wirtspflanzen ab. Halbschattige Standorte werden bevorzugt. Insgesamt kann das Weibchen bis zu 200 Eier legen. Schon etwa nach zwei Wochen der Eiablage schlüpfen die Raupen.
Die einzige Beschäftigung der Raupe: Fressen.
Die Raupe kurz vor der Verpuppung.
Von der nimmersatten Raupe zum Schmetterling
Die frisch geschlüpften Raupen haben zuerst einen schwarz-braunen Körper mit orangen Punktwarzen. Im späteren Raupenstadium färbt sich der Körper leuchtend hellgrün mit hellblauen Punktwarzen, vor dem Verpuppen färbt sich der Körper gelb- bis orangegrün. Im ausgewachsenen Zustand kann die Raupe bis etwa 12 cm Länge erreichen.
Etwa zwei Monate lang dauert das Raupenstadium. Die Raupen können von Anfang Juni bis Mitte August beobachtet werden. Dann suchen sie einen passenden Ort zur Verpuppung. Das kann am Stammfuß sein, aber auch andere bodennahe Orte werden zur Verpuppung genutzt. Den Winter verbringen sie im Puppenstadium. Im Frühling schlüpft die Imago. Manchmal kann das Puppenstadium sogar zwei Jahre oder länger dauern.
Lebensräume und Verbreitungsgebiete des Falters
Das Große Nachtpfauenauge liebt warme klimamilde Regionen. In Österreich befindet sich das Hauptverbreitungsgebiet in den östlich gelegenen Weinbauregionen. Doch tatsächlich liegt sein Verbreitungsgebiet weit über die Grenzen Österreichs. Er kommt im Süden bis in die Mittelmeerländer und auch auf einigen Mittelmeerinseln und sogar in Nordafrika vor. Im Westen besiedelt er die gesamte Iberische Halbinsel. Im Osten erstreckt sich sein Verbreitungsgebiet bis in den Nahen Osten und nach Vorderasien.
Das Wiener Nachtpfauenauge bevorzugt Lebensräume in warmen Lagen mit lockerem Gehölzbewuchs, wo ihre Raupen genug Futterpflanzen finden. Das können Offenlandschaften mit ausgeprägten Strauchgruppen und Buschvegetation, Auwaldlandschaften in den Niederungen, aber auch Obstgärten und laubholzreiche Parkanlagen sein.
Futterpflanzen für die Raupen – oft das Todesurteil
Die Raupen lieben das Laub von Kulturobstbäumen, aber auch einiger Laubbaumarten. Apfelbaum, Zwetschge, Esskastanie, Rotbuche, Bergahorn, Haselstrauch… Bei mir waren die Raupen an den Marillen. Und wie der Artname „pyri“ verrät, lieben sie auch das Laub der Birnen. Je nach Region scheinen die Falter bestimmte Vorlieben für Futterpflanzen zu haben. Ihre Schwäche für Obstlaub wird den Falterraupen leider zum Verhängnis. Denn der Pestizideinsatz auf den europäischen Obstplantagen ist beträchtlich. Johann G. Zaller beschreibt in seinem Buch „Unser täglich Gift“ den zügellosen Einsatz von unterschiedlichsten Spitzmitteln in der Landwirtschaft. Ein schockierendes Beispiel ist der Apfel. Der im konventionellen Anbau durchschnittlich sage und schreibe 31 Mal mit Pestiziden behandelt wird. Das schadet nicht nur den Raupen, sondern vielen Organismen und auch uns Menschen selbst.
Obwohl das Wiener Nachtpfauenauge geschützt ist, sind seine Populationen rückläufig. Denn die Lebensraumzerstörung von beispielsweise Streuobstwiesen, der konventionelle Obstbau mit Pestizideinstatz und sonstigen lebensfeindlichen Kulturmethoden, die allgemeine Lichtverschmutzung durch die nächtliche Beleuchtung machen dem Falter zu schaffen.
Frische Blätter der Rot-Buche, Fagus sylvatica.
Das Laub eines Kultur-Apfels, Malus domesticus ‚Belle Fleur‘.
Die Blätter des Berg-Ahorns, Acer pseudoplatanus.
Nützling oder Schädling ist hier nicht die Frage – es lebe die Vielfalt!
Das Große Nachtpfauenauge ist aus unserer menschlichen Sicht eher ein Schädling im Garten. Denn er frisst das Laub von Gehölzen. Und er hat für uns keinen direkten Nutzwert. Warum sollen wir uns dann an seiner Anwesenheit im Garten überhaupt freuen? Weil er einzigartig ist. Weil er hübsch und faszinierend ist. Weil er mein Ökosystem Garten bereichert. Er stellt einen Reichtum für mich dar, der mit Geld nicht aufzuwiegen ist. Darum freue ich mich einfach so sehr über diesen außergewöhnlichen Nachtfalter in meinem Garten.